Kompositionspreisträger 2021: Christof Ressi
short stories für Ensemble (2021 UA) − ~ 35´
«… schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch.» (Lautréamont)
short stories ist der Ästhetik des surrealistischen Films verpflichtet, insbesondere dem Werk von Luis Buñuel. Das Stück besteht aus einer Vielzahl unterschiedlichster Szenen-teils rein instrumental, teils mit Zuspielung, gelegentlich auch rein elektronisch –, welche in einer Art Traumlogik angeordnet und mithilfe von Schnitt- und Überblendungstechniken miteinander verbunden sind. Ähnlich wie beim Film ist das Endresultat nur eine von vielen möglichen Anordnungen desselben Ausgangsmaterials. Tatsächlich ist das Stück modular aufgebaut, so dass praktisch unterschiedliche formale Abläufe möglich sind. Die Szene ist die elementare formale Einheit. Musikalische Handlungsstränge können sich jedoch über mehrere Szenen erstrecken, wo sie sich verzweigen, kreuzen und wieder zusammenfinden. Die Länge der einzelnen Szenen variiert beträchtlich und reicht von wenigen Sekunden bis zu mehreren Minuten. Die Form soll zwar nachvollziehbar, jedoch nicht vorhersehbar sein. Entsprechend ist auch das klanglich-ästhetische Material bewusst möglichst heterogen gewählt. Die verwendeten Kompositionstechniken reichen von genau auskomponierten Passagen über grafische Notationsformen bis hin zu verbalen Spielanweisungen. Ich versuche dabei spezifische filmische Techniken, wie Schnitt, Überblendung, Totale, Nahaufnahme, Zoom, Jump-Cut, Match-Cut etc. in Musik zu übersetzen bzw. musikalische Entsprechungen zu finden. Der Zusammenhang zwischen den Szenen ist lose und folgt einer rein assoziativen Logik. Bestimmte Klänge, Motive und Figuren treten immer wieder in unterschiedlichen Szenen auf, jedoch in veränderter Gestalt oder in einem neuen Kontext, so dass ihr eigentliches, ursprüngliches Wesen rätselhaft bleibt. Durch die Vielzahl solcher motivischer Querverweise über einen langen Zeitraum erhält das Werk eine rhizomatische Struktur, welche die Gedächtnisleistung der Hörerin, des Hörers auf die Probe stellt und die Grenze zwischen kompositorischer Absicht und Halluzination verschwimmen lässt. (Christof Ressi)
Christof Ressi, ein österreichischer Komponist, Arrangeur, Medienkünstler und Softwareentwickler.
* 1989 in Villach; lebt in Graz
Er studierte Komposition und Musiktheorie bei Gerd Kühr, Dieter Ammann und Alexander Stankovski, Jazzkomposition und Arrangement bei Ed Partyka und Computermusik bei Marko Ciciliani. Seine künstlerische Arbeit umspannt verschiedene Genres wie neue Musik, Jazz, experimentelle Elektronik und Medienkunst. Er produziert Musik, Sounddesign und Video für Theater- und Tanzproduktionen und arrangiert Musik für alle Arten von Ensembles und Instrumenten, einschließlich Big Band und Orchester. Seine Musik wurde in vielen Ländern weltweit aufgeführt und seine Computermusikarbeit wurde auf internationalen Konferenzen wie NIME oder Linux Audio Conference vorgestellt. Mit dem Klarinettisten Szilard Benes verbindet ihn eine intensive Zusammenarbeit. Als Duo Ressi/Benes treten sie sowohl mit audiovisuellen Kompositionen als auch mit Improvisationen auf. 2019 wurden sie zu einer zweiwöchigen Residenz (MISE-EN_PLACE Bushwick) nach New York eingeladen. Seit 2020 werden sie im Rahmen von New Austrian Sound of Music, einem Programm des österreichischen Außenministeriums für internationale Konzertaktivitäten, gefördert. Als Softwareentwickler hilft Ressi bei der technischen Umsetzung von künstlerischen Projekten und trägt regelmäßig zu Open-Source-Projekten wie Pure Data und Supercollider bei. Er veröffentlicht seine eigene Software unter Open-Source-Lizenzen. Für seine künstlerische Arbeit erhielt er mehrere Preise, darunter das Andrzej-Dobrowolksi-Kompositionsstipendium des Landes Steiermark (2017) und den SKE-Publicity-Preis (2018). Im Jahr 2020 war er einer der beiden Preisträger des 8. internationalen Johann-Joseph-Fux-Opernkompositionswettbewerbs.