Kompositionspreisträgerin 2016: Eva Reiter
Abarbeiten am Hier und Jetzt
Zur Musik von Eva Reiter
Rund vierhundert Jahre trennen die musikalischen Epochen, in denen sich die Komponistin und Instrumentalistin Eva Reiter bewegt. Ihre Ausbildung als Musikerin konzentrierte sich auf den Bereich der Alten Musik: In Wien und Amsterdam studierte sie Blockflöte und Viola da Gamba und bis heute widmet sie sich in mehreren Ensembles der Musik des 16. und 17. Jahrhunderts. Daneben bestand aber immer eine Affinität zur Musik der Gegenwart, mit der sie sich als Interpretin und Komponistin auseinandersetzt. In diesem Feld liegt für sie ein besonderer Reiz auch darin, »ihre« Instrumente aus den angestammten Kontexten zu lösen und der zeitgenössischen Musik anzunähern.
Neue Musik für alte Instrumente zu schreiben, bedeutet in Eva Reiters Arbeit allerdings nicht, sich darauf zu beschränken, gewisse instrumentale Charakteristika auszunutzen, um das Spektrum klangfarblicher Möglichkeiten anzureichern. Auch an einem wie auch immer gearteten »Brückenschlag« zwischen den Epochen ist sie nicht interessiert; wenn sie in ihren Stücken die Viola da Gamba oder die Blockflöte einsetzt, spielt die Verortung dieser Instrumente in Renaissance und Barock zunächst einmal keine Rolle. Stattdessen versucht Reiter, in akribischen Materialrecherchen zu erkunden, welche bislang ungenutzten klanglichen Potenziale zum Vorschein gebracht werden können.
Aber auch jenseits von Gambe und Blockflöte ist es die enge Verbundenheit mit dem Instrument, die ihr Komponieren entscheidend prägt. Aus dieser Haltung heraus steht am Beginn jedes Stückes eine gleichsam »archäologische« Erforschung des jeweiligen Instrumentariums: ein vorbehaltloses Finden und Begutachten. In diesem Sinne versteht Eva Reiter Instrumente keineswegs als per se gegebene, »fertige« Objekte, die durch ihre Historizität und ihren kodifizierten Gebrauch definiert sind. Im Gegenteil: Für sie sind es Gegenstände der Hinterfragung, deren Tauglichkeit für den konkreten »Anwendungsfall« stets erst zu ermitteln ist.
Mit Blick auf solche »Anwendungen« lässt sich in Eva Reiters Œuvre eine vielschichtig ineinandergreifende Entwicklung ausmachen. Am Beginn ihrer kompositorischen Tätigkeit stand die Faszination für wissenschaftliche Kontexte – etwa für Phänomene der Molekularbiologie oder der Chaostheorie. Diese Themen begleiteten das vorkompositorische Suchen und wirkten, so die Komponistin, als »hinter den Stücken verborgene Matrizen«. Als musikalisch zwingender Weg erwies sich für Reiter dagegen damals die Auslotung der Demarkation zwischen akustischer und elektronischer Musik. Es entstand eine Reihe von Stücken für Instrument(e) und Zuspielung, in denen dieser Grenzgang deutlich greifbar wird. Zu den instrumentalen Klängen treten hier vorwiegend synthetische Klänge des alltäglichen, urbanen Lebens, zumal die repetitiven Geräusche von Motoren und Maschinen.
Die Rhythmen der Maschinen fordern interpretatorische Disziplin: Die minutiöse Wechselwirkung von Instrumental- und Zuspielpart setzt ein absolut präzises Timing voraus; noch die geringste Abweichung ließe alles zusammenbrechen. Auf diese Weise provozieren diese Stücke Extremsituationen und konfrontieren den Interpreten mit Ordnungssystemen, denen nicht entkommen werden kann. Insoweit ist der Aspekt der körperlichen wie mentalen Arbeit, die zur Tonerzeugung geleistet werden muss, mindestens ebenso wichtig wie das klingende Resultat selbst. Das bedeutet nichts weniger, als dass Reiter den Interpreten an Grenzen zu bringen sucht; das Spielen ihrer Stücke darf anstrengend, ja beschwerlich sein. Zugleich lässt sich hierin eine Korrelation beobachten, die letztlich für alle ihre Kompositionen geltend gemacht werden kann. Die Anstrengung, die eingefordert wird, trägt immer auch das Potenzial der Erfüllung in sich: das Standhalten wird mit dem Gelingen belohnt. »Es ist«, sagt die Komponistin, »ein ambivalentes Spiel zwischen Erschöpfung und Funktionslust«.
In einigen von Eva Reiters Kompositionen der letzten Jahre ist es eine rauhe, nicht selten brutale Klangsprache, die den Ton angibt: changierend zwischen distanzierter Kühle und hochemotionaler Entäußerung. Das dabei angewandte Material ist frei von jeder Befangenheit, dem gängigen Jargon Neuer Musik entsprechen zu wollen. Reiter zieht keine Grenzen zwischen den klanglichen »Idealen« der Kunstmusik und Ästhetiken, die aus der Sphäre der sogenannten U-Musik stammen. Indessen stehen solche Momente nicht demonstrativ heraus, sind weder Fremdkörper noch modische Accessoires in einer ansonsten genretypischen Oberfläche. Eva Reiter komponiert eine Musik, die gegenwärtigen akustischen Realitäten Rechnung trägt, anstatt sich in einen kunstmusikalischen Eskapismus zu flüchten. Dass solche Zugriffe nicht auf wohlgesetzten »Schönklang« spekulieren, ist letztlich deren Conditio sine qua non.
Die »Strapazen«, die Eva Reiter ihrer Musik einschreibt, finden ihre Entsprechung in den Bedingungen, die sie sich selbst im kompositorischen Prozess auferlegt. Nichts soll leicht von der Hand gehen, nichts mühelos abrufbar sein. Jegliches Vertrauen in gebrauchsfertige Materialien wird verloren gegeben: »Jedes Stück«, sagt sie, »ist ein Sich-Abarbeiten am Hier und Jetzt«. In diesem Sinne hat Komponieren aus ihrer Warte nichts damit zu tun, bereits Erschlossenes in kunstgerechte Varianten zu setzen. Vielmehr geht es immer von neuem »ums Ganze« – wobei dieser universale Anspruch durchaus wörtlich zu verstehen ist.
Komponieren bedeutet für Eva Reiter ganz ausdrücklich eine Arbeit an der eigenen Identität sowie an deren Ort in kollektiven Zusammenhängen. Es geht um das Überwinden von Widerständen, um das Sich-Befreien von einer »inneren Trägheit«, in der die Gefahr einer komfortablen Befestigung des künstlerischen Weges liegt. »Musik als existenzielle Erfahrung« – der Entwurf Helmut Lachenmanns, den Reiter als einen ihrer Impulsgeber anführt, wird in ihren Kompositionen als ein ungebrochen aktueller bestätigt. »Musik hat Sinn doch nur, insofern sie über die eigene Struktur hinausweist auf Strukturen, Zusammenhänge, das heißt: auf Wirklichkeiten und Möglichkeiten um uns und in uns selbst«, schreibt Lachenmann und benennt damit ein Moment, das Reiter in gleicher Weise für ihre Arbeit reklamiert. Dass gewisse musikalische Materialien, Rituale und Codes hinreichend legitimiert scheinen und – zumindest im Rahmen ihrer Eigengesetzlichkeit – »funktionieren«, versteht sie keineswegs als Aufforderung zur kontinuierlichen Affirmation, sondern vielmehr als eine Herausforderung, die vermeintlichen Übereinkünfte wieder und wieder infrage zu stellen.
»Eine Komposition«, sagt Eva Reiter, »ist für mich dann relevant und positiv, wenn ich einerseits an Erfahrung reicher geworden bin und andererseits eine neue, weiterführende Faszination in mir wecken konnte, die das bereits Manifestierte schon wieder als Basis einer Weiterführung und Erneuerung versteht«.
Text: Michael Rebhahn
Kompositionspreisträgerin 2016: Eva Reiter
Abarbeiten am Hier und Jetzt
Zur Musik von Eva Reiter
Rund vierhundert Jahre trennen die musikalischen Epochen, in denen sich die Komponistin und Instrumentalistin Eva Reiter bewegt. Ihre Ausbildung als Musikerin konzentrierte sich auf den Bereich der Alten Musik: In Wien und Amsterdam studierte sie Blockflöte und Viola da Gamba und bis heute widmet sie sich in mehreren Ensembles der Musik des 16. und 17. Jahrhunderts. Daneben bestand aber immer eine Affinität zur Musik der Gegenwart, mit der sie sich als Interpretin und Komponistin auseinandersetzt. In diesem Feld liegt für sie ein besonderer Reiz auch darin, »ihre« Instrumente aus den angestammten Kontexten zu lösen und der zeitgenössischen Musik anzunähern.
Neue Musik für alte Instrumente zu schreiben, bedeutet in Eva Reiters Arbeit allerdings nicht, sich darauf zu beschränken, gewisse instrumentale Charakteristika auszunutzen, um das Spektrum klangfarblicher Möglichkeiten anzureichern. Auch an einem wie auch immer gearteten »Brückenschlag« zwischen den Epochen ist sie nicht interessiert; wenn sie in ihren Stücken die Viola da Gamba oder die Blockflöte einsetzt, spielt die Verortung dieser Instrumente in Renaissance und Barock zunächst einmal keine Rolle. Stattdessen versucht Reiter, in akribischen Materialrecherchen zu erkunden, welche bislang ungenutzten klanglichen Potenziale zum Vorschein gebracht werden können.
Aber auch jenseits von Gambe und Blockflöte ist es die enge Verbundenheit mit dem Instrument, die ihr Komponieren entscheidend prägt. Aus dieser Haltung heraus steht am Beginn jedes Stückes eine gleichsam »archäologische« Erforschung des jeweiligen Instrumentariums: ein vorbehaltloses Finden und Begutachten. In diesem Sinne versteht Eva Reiter Instrumente keineswegs als per se gegebene, »fertige« Objekte, die durch ihre Historizität und ihren kodifizierten Gebrauch definiert sind. Im Gegenteil: Für sie sind es Gegenstände der Hinterfragung, deren Tauglichkeit für den konkreten »Anwendungsfall« stets erst zu ermitteln ist.
Mit Blick auf solche »Anwendungen« lässt sich in Eva Reiters Œuvre eine vielschichtig ineinandergreifende Entwicklung ausmachen. Am Beginn ihrer kompositorischen Tätigkeit stand die Faszination für wissenschaftliche Kontexte – etwa für Phänomene der Molekularbiologie oder der Chaostheorie. Diese Themen begleiteten das vorkompositorische Suchen und wirkten, so die Komponistin, als »hinter den Stücken verborgene Matrizen«. Als musikalisch zwingender Weg erwies sich für Reiter dagegen damals die Auslotung der Demarkation zwischen akustischer und elektronischer Musik. Es entstand eine Reihe von Stücken für Instrument(e) und Zuspielung, in denen dieser Grenzgang deutlich greifbar wird. Zu den instrumentalen Klängen treten hier vorwiegend synthetische Klänge des alltäglichen, urbanen Lebens, zumal die repetitiven Geräusche von Motoren und Maschinen.
Die Rhythmen der Maschinen fordern interpretatorische Disziplin: Die minutiöse Wechselwirkung von Instrumental- und Zuspielpart setzt ein absolut präzises Timing voraus; noch die geringste Abweichung ließe alles zusammenbrechen. Auf diese Weise provozieren diese Stücke Extremsituationen und konfrontieren den Interpreten mit Ordnungssystemen, denen nicht entkommen werden kann. Insoweit ist der Aspekt der körperlichen wie mentalen Arbeit, die zur Tonerzeugung geleistet werden muss, mindestens ebenso wichtig wie das klingende Resultat selbst. Das bedeutet nichts weniger, als dass Reiter den Interpreten an Grenzen zu bringen sucht; das Spielen ihrer Stücke darf anstrengend, ja beschwerlich sein. Zugleich lässt sich hierin eine Korrelation beobachten, die letztlich für alle ihre Kompositionen geltend gemacht werden kann. Die Anstrengung, die eingefordert wird, trägt immer auch das Potenzial der Erfüllung in sich: das Standhalten wird mit dem Gelingen belohnt. »Es ist«, sagt die Komponistin, »ein ambivalentes Spiel zwischen Erschöpfung und Funktionslust«.
In einigen von Eva Reiters Kompositionen der letzten Jahre ist es eine rauhe, nicht selten brutale Klangsprache, die den Ton angibt: changierend zwischen distanzierter Kühle und hochemotionaler Entäußerung. Das dabei angewandte Material ist frei von jeder Befangenheit, dem gängigen Jargon Neuer Musik entsprechen zu wollen. Reiter zieht keine Grenzen zwischen den klanglichen »Idealen« der Kunstmusik und Ästhetiken, die aus der Sphäre der sogenannten U-Musik stammen. Indessen stehen solche Momente nicht demonstrativ heraus, sind weder Fremdkörper noch modische Accessoires in einer ansonsten genretypischen Oberfläche. Eva Reiter komponiert eine Musik, die gegenwärtigen akustischen Realitäten Rechnung trägt, anstatt sich in einen kunstmusikalischen Eskapismus zu flüchten. Dass solche Zugriffe nicht auf wohlgesetzten »Schönklang« spekulieren, ist letztlich deren Conditio sine qua non.
Die »Strapazen«, die Eva Reiter ihrer Musik einschreibt, finden ihre Entsprechung in den Bedingungen, die sie sich selbst im kompositorischen Prozess auferlegt. Nichts soll leicht von der Hand gehen, nichts mühelos abrufbar sein. Jegliches Vertrauen in gebrauchsfertige Materialien wird verloren gegeben: »Jedes Stück«, sagt sie, »ist ein Sich-Abarbeiten am Hier und Jetzt«. In diesem Sinne hat Komponieren aus ihrer Warte nichts damit zu tun, bereits Erschlossenes in kunstgerechte Varianten zu setzen. Vielmehr geht es immer von neuem »ums Ganze« – wobei dieser universale Anspruch durchaus wörtlich zu verstehen ist.
Komponieren bedeutet für Eva Reiter ganz ausdrücklich eine Arbeit an der eigenen Identität sowie an deren Ort in kollektiven Zusammenhängen. Es geht um das Überwinden von Widerständen, um das Sich-Befreien von einer »inneren Trägheit«, in der die Gefahr einer komfortablen Befestigung des künstlerischen Weges liegt. »Musik als existenzielle Erfahrung« – der Entwurf Helmut Lachenmanns, den Reiter als einen ihrer Impulsgeber anführt, wird in ihren Kompositionen als ein ungebrochen aktueller bestätigt. »Musik hat Sinn doch nur, insofern sie über die eigene Struktur hinausweist auf Strukturen, Zusammenhänge, das heißt: auf Wirklichkeiten und Möglichkeiten um uns und in uns selbst«, schreibt Lachenmann und benennt damit ein Moment, das Reiter in gleicher Weise für ihre Arbeit reklamiert. Dass gewisse musikalische Materialien, Rituale und Codes hinreichend legitimiert scheinen und – zumindest im Rahmen ihrer Eigengesetzlichkeit – »funktionieren«, versteht sie keineswegs als Aufforderung zur kontinuierlichen Affirmation, sondern vielmehr als eine Herausforderung, die vermeintlichen Übereinkünfte wieder und wieder infrage zu stellen.
»Eine Komposition«, sagt Eva Reiter, »ist für mich dann relevant und positiv, wenn ich einerseits an Erfahrung reicher geworden bin und andererseits eine neue, weiterführende Faszination in mir wecken konnte, die das bereits Manifestierte schon wieder als Basis einer Weiterführung und Erneuerung versteht«.
Text: Michael Rebhahn