Laudatio auf den Erste Bank Kompositionspreis anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Verleihung im Rahmen von Wien Modern
von Björn Gottstein
Eine der vielleicht abwegigsten Laudationes, der ich beiwohnen durfte, hielt der deutsche Rocksänger Herbert Grönemeyer auf die damalige Preisträgerin Balbina. Die Laudatio bestand nur aus Textzeilen der Sängerin. Grönemeyers Lobrede war deshalb wenig zusammenhängend und weitgehend sinnfrei, aber doch von einer gewissen lyrischen Kraft, weshalb man ihm gerne zuhörte. Kurz habe ich überlegt, ob man dieses Verfahren auch auf die heutige Laudatio würde anwenden können. Ich hätte dann von jedem Preisträger, jeder Preisträgerin des Erste Bank Kompositionspreises einen Ton gesungen, mit der schönen Pointe, dass es für 1996, als kein Preis vergeben wurde, eine feierliche, auch ein bisschen nachdenkliche Pause gegeben hätte. Badelada – das wäre zum Beispiel der erste Preisträger gewesen, Herbert Willi, 1989. Trötörö – Gerhard Winkler 1990. Sie merken schon. Es führt zu nichts: Es wird eher deutlich, dass die Laudatio nicht auf einen Preisträger oder eine Preisträgerin, sondern auf den Preis selbst, denn das ist meine Aufgabe, eine nicht ganz unkomplizierte Angelegenheit ist.
Natürlich kann man einen Preis nicht ohne seine Preisträger:innen würdigen. Denn woran misst sich am Ende die Bedeutung eines Preises, wenn nicht am Rang derer, die ihn tragen. Der Preis wird jungen Komponistinnen und Komponisten aus dem mit jungen Komponistinnen und Komponistin reich gesegneten Österreich zuteil. Also eben zu ihrer Zeit: Georg Friedrich Haas, Olga Neuwirth, Johannes Maria Staud, Clemens Gadenstätter, Wolfgang Mitterer, Bernhard Gander, Klaus Lang, Bernhard Lang, Eva Reiter. Das sind jetzt einige Preisträger:innen, die es später zu beachtlichem Ruhm gebracht haben. Das heißt, streng genommen lässt sich der Rang des Erste Bank Kompositionspreises mehr noch als an den aktuellen Preisträger:innen daran messen, was aus den bisherigen geworden ist.
Da können wir dem einstigen Juror und den heutigen Juroren des Preises doch ein ziemlich gutes Zeugnis ausstellen. Der Preis wurde lange Jahre, ein wenig autokratisch vielleicht, aber der Vielfalt der Preisträger:innen nach offenbar immer in einem kontrovers geführten inneren Dialog, von Lothar Knessl vergeben. (Lothar Knessl, der am 6. August im Alter von 95 Jahren gestorben ist. Ich glaube, ich muss hier niemandem erklären, welche Bedeutung Knessl nicht nur für diesen Preis, sondern für das österreichische Musikleben insgesamt gehabt hat.) Erst 2016 wurde von Lothar Knessl in seiner Nachfolge ein Dreierrat einberufen, der Komponist und Dirigent Gerd Kühr, der Musikjournalist Christian Scheib, der Intendant des Klangforum Wien, zunächst also Sven Hartberger, dann und heute Peter Paul Kainrath.
Wen würdigt der Erste Bank Kompositionspreis? Junge österreichische Komponist:innen. Zum Beispiel 2008 Gösta Neuwirth, der damals erst 71 Jahre alt war. Joanna Wozny und Mirela Ivičević haben ihren Lebensmittelpunkt in Österreich. Aber Agata Zubel aus Polen und heuer Sara Glojnarić aus Kroatien mit Wohnsitz in Deutschland tragen einem Prinzip Rechnung, das in Deutschland vollkommen unterentwickelt ist und weswegen wird immer ein wenig neidisch auf Österreich schauen. Das Prinzip nämlich, dass man es nicht immer so genau nehmen muss, vor allem dann nicht, wenn es der Sache, hier: der Sache der Musik, dient. Wenn man auf die Liste der Preisträger:innen schaut, dann hätte man „Generationszugehörigkeit“ und „Staatsangehörigkeit” sicher auch ersetzen können, nämlich durch den allgemeiner formulierten Wunsch, mit dem Preis dem österreichischen Musikleben neue Impulse zu verleihen. Denn der Bezug zu Österreich ist im Preis ja ohnehin mehrfach angelegt. Nicht nur durch den Stifter, sondern vor allem durch die drei Institutionen, die den Preisträger, die Preisträgerin umsorgen: das Festival Wien Modern, wo – ohne das explizit ein Auftrag erteilt wird – ein neues Werk aufgeführt wird. Das Klangforum Wien, das das Werk spielt. Das Label Kairos, das eine Porträt-CD veröffentlicht. Das ist nämlich der vielleicht wichtigste Aspekt dieses Preises: dass, wer immer ihn auch bekommt, ihm bzw. ihr so viel zuteilwird. Es geht also nicht einfach nur darum, einen Namen zu präsentieren und einen Scheck zu überreichen. Es geht diesem Preis um die Musik selbst. Dass man sie schreibt, sie spielt, sie publik macht. Dass man ihr Gehör verschafft. Welcher Preis kann das schon von sich behaupten?
Nun kann man aber nicht einen Preis preisen, ohne über das Preisen selbst zu sprechen. Warum brauchen wir eigentlich Preise? Warum müssen Komponisten und Komponistinnen ausgezeichnet werden? Warum genügt es uns nicht, ihre Musik einfach zu spielen? Warum muss dort noch ein „Preis”-Schild an die Musik geheftet werden? Wem nützt das?
Natürlich nützt es den Preisträger:innen. Endlich wird ihnen Gerechtigkeit zuteil. Das Wegweisende, Bahnbrechende ihrer Musik ist endlich verstanden worden! Der Preis bereichert darüber hinaus seine, bereichert ihre Biografie. Er versichert allen künftigen Hörerinnern und Hörern, dass hier ein Meister, eine Meisterin zumindest ein werdender am Werke ist. Hinzu kommt das Preisgeld, das gerade am Anfang einer künstlerischen Laufbahn oft dringend gebraucht wird. Man tut dem Komponisten, der Komponistin also etwas Gutes. Und, indem man Aufführungs- und Veröffentlichungsmöglichkeiten schafft, auch der Musik.
Was aber hat der Stifter davon? Der Stifter des Preises leistet einen wichtigen Beitrag zum Selbstverständnis der bürgerlichen Gesellschaft, zu der es a) gehört, dass man sich im Rahmen seiner Möglichkeiten engagiert, und b), dass die Kunst eine wichtige Rolle im demokratischen Selbstverständnis spielt. Auch ein vermeintlich randständiges Terrain wie das der Neuen Musik gehört dazu. Natürlich darf sich der Preisverleiher mit dem Preis auch ein wenig schmücken. Tue Gutes und setze dein Logo hinzu. Das bedeutet aber auch, dass mit einem Preis eine gewisse Verantwortung einhergeht. Es ist schließlich eine Form der Selbstermächtigung. Das Mandat, jemanden auszuzeichnen, hat man sich schließlich selbst erteilt. Wie also wird man der Verantwortung gerecht? Wichtiges Prinzip aller Demokratien: indem man die Gewalten teilt. Indem also der Stifter, der das Geld zur Verfügung stellt, sich nicht anmaßt, auch zu wissen, wer den Preis bekommen soll, sondern jemanden mit der entsprechenden Kompetenz entscheiden lässt. Es ist die die allererste Voraussetzung dafür, dass wir einen Preis überhaupt ernst nehmen dürfen. Dass er nämlich niemals aus privater Zuneigung oder einer wie auch immer gearteten Laune heraus vergeben wird.
Und dann ist da noch jener Aspekt, den wir heute Abend alle gemeinsam erleben. Der Preis ist Anlass zu einer Zeremonie. Er verleiht den Preisträger:innen schlaglichtartig Aufmerksamkeit. Mit der Preisverleihung steht auch die Neue Musik kurz einmal im Mittelpunkt. Etwas, was im musikalischen Alltag nur schwer herzustellen ist. Die Preisverleihung ist ein Anlass, um zusammenzukommen, gemeinsam Musik zu hören, zu feiern, zu gratulieren, zu applaudieren und sich im Anschluss bei einem Teller Schinkenfleckerl auszutauschen.
Damit sind die Aspekte des Preisens sicher noch nicht ausgeschöpft, man könnte sicher über die religiöse Konnotation des Preisens sprechen und über psychologische Implikation des Auszeichnens. Warum haben wir überhaupt das Bedürfnis, Preise zu verleihen? Aber mein Beitrag hier soll keine Philosophie des Preises sein. Sondern ein Glückwunsch. Seit 20 Jahren wird Musik der Preisträgerin, des Preisträgers bei Wien Modern aufgeführt. Dazu sei aufs Herzlichste gratuliert. Aber wie eingangs erwähnt: Den Preis auszeichnen, das tun die Preisträgerinnen und Preisträger selbst. 2020 war das Matthias Kranebitter, 2021 Christof Ressi und in diesem Jahr Sara Glojnarić. Ihre Musik steht heute im Mittelpunkt. Ich verneige mich vor den Menschen, die diesen Preis möglich gemacht haben und möglich machen. Und ich verneige mich vor den Komponist:innen, die heute ausgezeichnet werden. Herzlichen Glückwunsch!