20 Jahre Erste Bank Kompositionspreis bei Wien Modern

von Sven Hartberger
 

Das Jubiläum 20 Jahre Erste Bank Kompositionspreis bei Wien Modern soll gebührend gefeiert werden durch einen Rückblick, eine Ausschau, eine Beschreibung, ein Nachdenken – gestern, heute, morgen – vollkommene literarische Freiheit wird vom bekannt generösen Festival Wien Modern garantiert, Anekdotisches, ja selbst Polemisches darf seinen Platz haben, und also: hinein ins Vergnügen.

Ja, ins Vergnügen, denn ganz ohne jeden Zweifel ist es ein Vergnügen, diesen sehr besonderen, eigenwilligen Preis zu preisen, und kein irgendwie behauptbarer Anlass dazu wird dem ausgewiesenen Hedonisten als Vorwand für die bestellte Schwelgerei zu fadenscheinig sein, nicht einmal der doch recht augenscheinlich konstruierte Vorwand der Jubilierung eines nun seit 33 Jahren verliehenen Preises unter dem Vorwand 20 Jahre … bei Wien Modern. Denn der Preis selbst begeht heuer ja gar kein Jubiläum, er wurde bereits 1989 zum ersten Mal vergeben, und übrigens auch schon damals mit einer Uraufführung bei – richtig – Wien Modern gefeiert. Oder eigentlich auch nicht, denn damals war der Erste Bank Kompositionspreis gar kein Preis, sondern ein Auftrag oder so ähnlich. Aber lassen wir doch am besten seinen Erfinder Lothar Knessl – der die Ehre der Urheberschaft übrigens von sich weisen würde, aber dazu gleich noch etwas später – selbst sprechen: «Von Anfang an [1989] wurde der Kompositionsauftrag der Erste Bank definiert als eine Art Preis, der an (relativ) junge Komponisten und Komponistinnen österreichischer Staatszugehörigkeit zu vergeben ist.» Relativ österreichischer Staatszugehörigkeit, möchte man da noch ergänzen, aber dazu ebenfalls später.

Das Zitat, und damit kommen wir dem mit Freuden aufgegriffenen Jubiläumskonstrukt schon näher, stammt aus einem Konzept, das Lothar Knessl im Jahr 2001 unter dem Titel Preis: Kompositionsauftrag der Erste Bank in Zusammenarbeit mit Wien Modern für die Bank erstellt hat und das erstmals – Achtung, Jubiläum! – im Jahr 2002 umgesetzt wurde. In diesem Papier ging es darum, wie der seit seiner Erstverleihung vor damals zwölf Jahren ein wenig in die Jahre gekommene und wohl auch nicht nach Gebühr beachtete Preis nun auch in einer über das Herkömmliche hinausgehenden Weise gestaltet und dadurch auch der verdienten öffentlichen Aufmerksamkeit teilhaftig werden könnte. Der Preis stellte damit, in seinem zwölften Jahr und gerade zeitgerecht für seine Bar Mitzwa im bevorstehenden dreizehnten Jahr seiner Existenz, an sich selbst eben jene Anforderungen, welche seine eigenen Kriterien bei der Auswahl seiner Laureat:innen waren: Innovationskraft, teilnehmende und verantwortungsvolle Gestaltung von Gegenwart und Zukunft und eine Haltung, die zur Hoffnung auf eine erfolgreiche Weiterentwicklung berechtigt.

Der als «eine Art Preis» definierte Kompositionsauftrag hatte nämlich bis dahin kein solides Konzept, keine Philosophie und auch keinen zukunftsorientierten Plan, sondern als seine Grundlage lediglich die schiere Notwendigkeit – welche freilich im Wien des Jahres 1989 von kaum jemandem empfunden wurde, außer natürlich von Claudio Abbado, der im Jahr zuvor als Generalmusikdirektor der Stadt Wien das Festival Wien Modern gegründet hatte. Abbado hatte für die Stiftung des Preises Sorge getragen, den ersten Preisträger selbst nominiert, in der Erste Bank der oesterreichischen Sparkassen AG (heute: Erste Bank Group) eine, wie zu zeigen sein wird, ideale Stifterin und Partnerin für die Zukunft gefunden und alles weitere in die Hände von Lothar Knessl gelegt. Das war sehr viel und für einen über ein ganzes Jahrzehnt hinweg offenbar tragfähigen Beginn auch vollkommen ausreichend, aber freilich nicht genug, um dem Preis seine nunmehr 33-jährige Dauer und jenes internationale Ansehen zu sichern, das er heute genießt. Wie schnell eine solche Initiative ins Leere laufen und versanden kann, wenn ein kundiger Kurator und ein ehrlich engagierter Sponsor fehlen, zeigt der ebenfalls von Claudio Abbado zur selben Zeit ins Leben gerufene Wiener Internationale Kompositionspreis. Das als Sponsor für diesen Preis ausgewählte Unternehmen (sein Name wird hier gnädig verschwiegen) sah seine Aufgabe mit der Übergabe der Schecks an die Laureaten für erfüllt an. Zu einer Sorge um die Realisierung der – teilweise bis heute nicht uraufgeführten – prämierten Werke war das Institut nicht zu bewegen. Der Preis, von dem sich auch im Internet kaum mehr eine Spur findet, ist, soweit sich das ohne aufwendige forensische Bemühungen feststellen lässt, wahrscheinlich 1995 zum letzten Mal vergeben worden.

Aus diesem Grund scheint es richtig, Claudio Abbado zwar als Anreger und Initiator, Lothar Knessl aber als den eigentlichen Erfinder des Erste Bank Kompositionspreises zu benennen, dem wesentlich seine Bestandkraft und sein heutiger Rang zu danken sind. Damit sind wir nun beim Inhalt jener im Jahr 2001 konzipierten und ab dem Jahr 2002 umgesetzten umfassenden und entscheidenden Erneuerung und Erweiterung des Preises angelangt, mit welcher auch seine bereits seit dem Jahr 1989 bestehende enge Bindung an zwei Institutionen des österreichischen Musiklebens fixiert wurde: das Festival Wien Modern als Ort der Uraufführung und das Klangforum Wien als jenes Ensemble, welches das neue Werk nunmehr nicht mehr nur bloß aus der Taufe heben, sondern auch aktiv zu seiner Verbreitung in Österreich und auf internationalen Konzertpodien beitragen sollte. Zu diesem Zweck verpflichtete sich das Klangforum zu wenigstens drei Aufführungen des neuen Werkes und zur Produktion einer Porträt-CD mit Werken der ausgezeichneten Komponist:innen, die seither jährlich bei Kairos, dem hochrenommierten Partner-Label des Ensembles, erscheinen. Wirtschaftlich wurden (Ur-)Aufführungsverpflichtung und CD-Produktion durch zwei separate, von der Preisstifterin freundlich dotierte Sponsoringverträge mit Wien Modern und dem Klangforum abgesichert.

Im Jahr 2002 wurde damit der bis dahin recht simple klassische Sponsoringvorgang – Dotierung eines Kompositionsauftrags gegen angemessene Repräsentation des Geldgebers – auf die Stufe einer echten Kooperation gehoben, die mit der ungewöhnlich detaillierten Ausformulierung der mit dem Preis verbundenen Ziele, einer Strategie zu ihrer Erreichung und der vertraglichen Fixierung des in dieser Hinsicht Vereinbarten erst ihren Anfang genommen hat und deren Komplexität und Werthaltigkeit sich in den seither vergangenen zwanzig Jahren gezeigt und ständig weiterentwickelt haben. Ein wesentlicher Aspekt der 2002 gewissenhaft erarbeiteten Erneuerung war die Sicherstellung der bis dahin nicht mit dem Preis verbundenen Nachhaltigkeit, was besonders deshalb bemerkenswert ist, weil diese – heute zumindest theoretisch selbstverständlich gewordene – gesellschaftliche und politische Forderung damals noch ziemlich jung und in Denken und Handeln noch keineswegs fest verankert war.

Auf dieser Basis hat Lothar Knessl, der seit 1990 als alleiniger Kurator des Preises vor allen Dingen für seine künstlerische Ausrichtung verantwortlich gewesen ist, bis zum Jahr 2015 auch weiterhin sämtliche Preisträger:innen ausgewählt. Wer die Liste der Laureat:innen dieses Vierteljahrhunderts studiert und eine Vorstellung von der enormen Bandbreite des ästhetischen und kompositorischen Spektrums hat, das durch die darin verzeichneten Autor:innen repräsentiert ist, wird in ihr ein Anliegen verwirklicht sehen, das keineswegs allen Jüngern der neuen Musik gemeinsam, sehr wohl aber Lothar Knessl immer wichtig gewesen und durch ihn auch zu einem der wesentlichen Charakteristika des Erste Bank Kompositionspreises geworden ist: Das kompositorische Schaffen der Ausgezeichneten und auch ihre jeweils im Auftrag der Bank seit 1990 entstandenen Werke geben nämlich keineswegs nur ein Bild des an jedem Punkt dieses beträchtlichen Zeitraums als Avantgarde geltenden Komponierens, ja, sie mögen in den Ohren der avantgardistisch Eingeweihten vielfach wohl nicht einmal den Ansprüchen des Modernen oder den wie auch immer vagen Kriterien neuer Musik entsprochen haben. Dieser undogmatische und rundum sympathische Zug des Preises stellt in Anhörung der Neuen Musik die Musik in den Mittelpunkt und eben nicht das Neue. Die Sorge des Curators gilt dem Komponieren und dem Hören und der Lust an beidem, bedeutend mehr jedenfalls als einem vermuteten Auftrag von Gegenwart und Zukunft, einem theoretischen oder gesellschaftlichen Anspruch, Kategorisierungen und Klassifikationen, die alle ihren Sinn und ihre Berechtigung haben, aber für das Fest der Musik letztlich doch von nachgeordneter Bedeutung bleiben.

Dem Erste Bank Kompositionspreis hat durch diese gutgelaunte Außerachtlassung zeitgenössischer Erwartungshaltungen immer eine kräftige Prise von Leichtigkeit und Fröhlichkeit geeignet und eine zutiefst österreichische barocke Aura von Lebensfreude und Feierlust, die sich im Rahmen seiner Verleihung beim Festival Wien Modern vordergründig viele Jahre lang durch das fest mit ihm verbundene Schinkenfleckerlessen (das noch im Konzept von 2001 als gewichtiger, wo nicht gar identitätsstiftender Teil des Ganzen firmiert) manifestiert hat und auch weiterhin, in Gestalt des Empfangs, zu dem alle Konzertbesucher:innen nach der Uraufführung des neuen Werks von der Preisstifterin gebeten werden, einen seiner schwer wegzudenkenden Teile bildet.

Die Ausrichtung auf das Kompositorische und das Musikalische, die keiner Denkschule, keinem aktuellen Deutungsmuster und schon gar keiner Mode verpflichtet sind, hat sich der Preis auch nach der 2016 erfolgten Hofübergabe an ein dreiköpfiges Kuratorium bewahrt, das Lothar Knessl, hierin ein wahrer Nachfahre von Lessings Nathan, mit der Übernahme seiner Aufgabe betraut hat. Die von ihm auf Ersuchen der Preisstifterin gefundene Konstruktion sollte sicherstellen, dass aus dem stilistisch sehr bunt schillernden Preis nicht etwa ein Klangforum-Preis würde, der jeweiligen Ästhetik nur eines Ensembles verpflichtet und damit einen nicht unbeträchtlichen Teil aktuellen österreichischen Musikschaffens wohl eher marginalisierend. Mit Gerd Kühr, Christian Scheib und dem Intendanten des Klangforum wurde eine ausreichend heterogen besetzte Jury etabliert, die ihre Entscheidungen nach einem die Mitglieder fordernden Modus trifft: Anstatt gemeinsam eine Liste in Betracht kommender Kandidat:innen zu diskutieren, hat jede:r Juror:in jene Person zu bezeichnen/benennen, die mit dem Preis ausgezeichnet würde, wenn, wie weiland Lothar Knessl, nun er oder sie allein über dessen Vergabe zu bestimmen hätte. Es spricht für die Vitalität der österreichischen Musikszene ebenso wie für die Gelungenheit der Konstruktion, dass es auf diese Art noch nie weniger als drei unterschiedliche Nominierungen und jedesmal angeregte und langwierige Debatten gegeben hat.

Der Preis ist übrigens seit einem guten Jahrzehnt nun tatsächlich ein Preis und nicht mehr der «als eine Art Preis definierte» Kompositionsauftrag, als welcher er noch im Reformpapier aus dem Jahr 2001 bezeichnet wird. Hatte sich schon der Kompositionsauftrag durch seine vergleichsweise sehr freundliche Dotierung ausgezeichnet, die deutlich über dem Doppelten der damals üblicher Weise offerierten Honorare für Auftragswerke lag, verzichtete die Preisstifterin nun vollends auf die Bestellung eines Werks gegen Bezahlung. Das Preisgeld wurde fortan ohne die Bedingung einer kompositorischen Gegenleistung gegeben, verbunden freilich mit der freundlichen Einladung, zum Anlass der Preisverleihung das Festival Wien Modern, das Klangforum Wien und das Publikum mit einem neuen Werk zu beschenken. Diese elegante Geste, welche ein klein wenig die Unbezahlbarkeit des Kunstwerks reflektiert und gleichzeitig seiner Schöpferin beziehungsweise seinem Schöpfer nicht den gerechten Lohn vorenthält, ist noch nie unerwidert geblieben, und so dürfen wir uns seither bei den Preisträgerkonzerten auch als Gäste der Komponist:innen fühlen, die uns ein auftragsloses, aus freier Lust geschaffenes Werk schenken.

Ob im Rahmen dieser Preisträger:innen-Konzerte tatsächlich die Uraufführung des neuen Werks zu hören ist, oder ob sie sogar dort und ausschließlich dort stattfinden muss und anderswo gar nicht stattfinden darf, ist eine Frage, die Musikfreunde vielleicht nicht wirklich intensiv beschäftigt, in deren Diskussion Festivalleiter:innen, Intendant:innen, Komponist:innen, Verleger:innen und ähnliches Personal aber umso angelegentlicher verstrickt sind. Nachdem Wien Modern eher spät im Jahr beginnt, melden so gut wie immer internationale Festivals, die zwischen August und Oktober über die Bühne gehen, ihr Interesse an dem für die Preisverleihung entstehenden Werk an, sodass Wien sich wohl ziemlich regelmäßig mit einer österreichischen Erstaufführung im Rahmen einer internationalen Uraufführungsserie zufrieden geben müsste.

Lothar Knessl hat in dieser Frage eine sehr entspannte Haltung eingenommen, wohl schon deshalb, weil er Wien Modern ohnedies nie dem Typus der Uraufführungsfestivals zugezählt wissen wollte. Dem entsprechend finden sich in seinem Konzept Erklärungen wie die folgende: «Der Kompositionsauftrag der Erste Bank ist stets an Wien Modern gekoppelt, die Uraufführung soll im Rahmen diese Festivals stattfinden. Der Auftraggeber verwehrt nicht die Möglichkeit einer ‹Parallel-Aufführung› im Ausland, da dies für die Reputation des Komponisten, des Preises und der Auftraggeber von Nutzen ist.» Allfällige Uraufführungen im Ausland seien aber jedenfalls nur mit Erlaubnis der Preisstifterin zulässig. In den vergangenen 20 Jahren haben die verschiedenen Intendanten von Wien Modern den Uraufführungsanspruch des Festivals mit sehr unterschiedlichem Nachdruck erhoben. Das Interesse der Komponist:innen und der neuen Werke selbst spricht natürlich nie für den Verzicht auf denkbare Aufführungen wegen einer Uraufführungsbindung, und das Klangforum Wien, dessen eigene Interessen sich in dieser Frage naturgemäß mit denen der Komponist:innen decken, hat die Frage der Uraufführung und der Vorrechte von Institutionen an einer Komposition schon immer ganz allgemein sehr entspannt gesehen. Das Ensemble hat deshalb schon vor mehr als 20 Jahren alle Exklusivitätsklauseln aus seinen Kompositionsaufträgen gelöscht und immer wieder auch auf das ius primae noctis verzichtet, wenn dadurch zusätzliche Aufführungen eines neuen Werks ermöglicht werden konnten. Das war auch bei dem das aktuelle Jubiläum begründenden Preisträgerwerk des Jahres 2002 der Fall. Gleich die erste unter der Aegide der neuen Vereinbarungen zwischen Erste Bank, Wien Modern und Klangforum Wien entstandene Komposition wurde nämlich weder bei Wien Modern noch vom Klangforum Wien uraufgeführt, sondern, mit beider und der Erste Bank freundlichem Einverständnis, an der Berliner Philharmonie vom Scharoun Ensemble.

Dieser sehr pragmatische und flexible Umgang mit den eigenen Normen, die im (meist) allseitigen Einverständnis als gedankliche Richtlinien und Orientierung, aber nicht als normatives Korsett gehandhabt werden, ist ein weiteres Sympathicum dieses rundum sympathischen Preises. Dazu gehört auch die weitherzige Auslegung des Verleihungskriteriums «österreichische Staatszugehörigkeit», die im Bedarfsfall natürlich auch Südtirol und den gesamten Donauraum umfasst, welchem, wenn erforderlich, auch Polen zugerechnet werden kann, zumal wenn die laureanda in beinahe ehelicher Gemeinschaft mit einem nun aber wirklich österreichischen Staatsbürger lebt. Von eleganteren Formen luftigen Ignorierens nationalstaatlicher Beschränktheiten unter gleichzeitiger gebührender Beachtung des Werts des Eigenen ward nie gehört. Auch die ohne konkrete Altersgrenze als Kriterium in den Richtlinien genannte (relative) Jugend der Auszuzeichnenden war, wenn es besondere Erwägungen richtig scheinen ließen, eine sogar sehr relative, und die Vergabe des Preises an einen im 72. Lebensjahr stehenden Laureaten wurde von allen Seiten gut geheißen.

Bleibt noch die versprochene Begründung für das eingangs gespendete Lob der Erste Bank als eine ideale Stifterin des Kompositionspreises: Die Neudefinition des Preises im Jahr 2001 geschah bestimmt nicht ohne Grund und Anlass. Aus der Geschäftsperspektive, aus der Unternehmen im Allgemeinen und Banken zumal ihre Sponsoringengagements bewerten müssen, die wohl schon aus aktienrechtlichen Gründen nicht rein philanthropischer oder mäzenatischer Natur sein können, wird der auf Betreiben von Claudio Abbado gestiftete Kompositionspreis kein großes Asset gewesen sein und mag wohl auch auf der Liste der nicht unbedingt fortzuführenden Engagements gestanden haben. Claudio Abbado hatte sein Engagement in Wien beendet, und wer sonst für die Fortführung des Preises eingetreten wäre, hätte kaum das Gewicht gehabt, die Fortführung eines wenig prominenten Sponsoringprojekts durch seine Intervention durchzusetzen. Es ist mehr als bemerkenswert, dass sich die Bank in dieser Situation nicht für eine Bereinigung ihres Portfolios entschieden, sondern sich ganz im Gegenteil aktiv in den Erneuerungsprozess eingebracht, ihr Engagement verstärkt und die finanziellen Mittel zu seiner Dotierung nicht nur durch Erhöhung des Preisgeldes, sondern auch durch die Übernahme von Sponsoraufgaben für Wien Modern und das Klangforum Wien vervielfacht hat. Seit dies geschehen ist, also seit nunmehr zwei Jahrzehnten, ist die Bank, repräsentiert durch den immer ebenso diskreten wie umsichtigen Einsatz von Ruth Goubran, den übernommenen Verpflichtungen nicht nur in materieller, sondern auf vielfältige Weise auch in ideeller Hinsicht nachgekommen.

Es mag ja vielleicht ein Zufall sein, dass der gemeinhin als Nobelpreis der Musik gewürdigte Musikpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung just im 16. Jahr seines Bestehens und damit ein Jahr nach der Auslobung des Erste Bank Kompositionspreises zum ersten Mal einen Förderpreis für junge Komponist:innen vergeben hat. Deutlicher ist da schon ein anderer Vorsprung des 2002 erstmals verliehenen neuen Erste Bank Preises in Sachen Nachhaltigkeit: Damals ist verstanden worden, dass, bei aller Wichtigkeit der finanziellen Unterstützung junger Musikschaffender, der entscheidende Punkt die ungleich aufwendigere Förderung der Bekanntmachung ihres Werkes ist. Die erste Porträt-CD zum Preis ist deshalb 2003 erschienen, und die Vermutung ist zumindest nicht grundlos, dass 2012, als die Ernst von Siemens Musikstiftung als die unvergleichlich größere Schwester ihre Förderpreise durch ebensolche Porträt-CDs erweitert hat, das Beispiel aus Wien eine Inspiration gewesen sein könnte.

Wie dem auch sei: Der Erste Bank Kompositionspreis ist eine famose Sache, er hat längst Musikgeschichte geschrieben, deren erster Teil in dem schönen im Sonderzahl Verlag erschienenen Band mit dem Titel Der Wert des Schöpferischen. Der Erste Bank Kompositionsauftrag 1989–2007 ausführlich und überaus lesenswert dokumentiert ist. Seither sind fünfzehn Jahre vergangen, und es soll an dieser Stelle angemerkt sein, dass das Erscheinen des zweiten Teils ein Desiderat ist. Die Präsentation des neuen Bandes wäre dann ein feiner und hoch willkommener Anlass, auch im kommenden Jahr Ehre zu erweisen, wem Ehre gebührt: dem Erste Bank Kompositionspreis.

Der Text ist erstmals erschienen in Wien Modern 35: Wenn alles so einfach wäre. 100 Versuche über den guten Umgang mit Komplexität. 29.10.–30.11.2022 Festivalkatalog. Essays [Band 2]. Herausgegeben von Bernhard Günther und Angela Heide. – Wien: Wien Modern, 2022. S. 150–157.