Kompositionspreisträger 2013: Bernd Richard Deutsch

„Ich neige zu einer gewissen Lebendigkeit mit vielen Noten“, sagt Bernd Richard Deutsch selbst ganz grundsätzlich über sein Komponieren. Seine Musik klingt tatsächlich häufig überaus virtuos – aber auch das Wort „Noten“ selbst verdient im Falle des 1977 geborenen Tonsetzers einige Beachtung. Denn er arbeitet tatsächlich – mehr als viele andere seiner Zeitgenossen – zunächst einmal mit dem klingenden Ton als Materialbasis: „Meinen Ausgangspunkt bilden Töne und Rhythmen. Geräuschhafte, perkussive Passagen sind bei mir ein Sonderfall. Ich habe zwar in meiner Studienzeit auch sehr geräuschhafte Stücke geschrieben, aber die alleinige Konzentration auf Geräusche hat mich nie besonders befriedigt.“ Dass man sich als Hörer in Deutschs Musik erst einmal zurechtfinden kann, hat noch mit einem weiteren wichtigen Faktor zu tun, mit dem der Komponist ebenfalls fest in der Tradition verwurzelt ist: „Ich habe den Takt nicht abgeschafft, Taktwechsel kann man bei mir hören. In Neuer Musik ist der Takt oft nur eine Stütze, bei mir hat er auch eine Funktion, auch wenn die Musik manchmal schwebt: Ich liebe begrenzt aleatorische Passagen mit rhythmischer Flexibilität. Aber Tempo und Rhythmus sind mir sehr wichtig.“

Auf dieser Basis ist es für Deutsch allerdings ganz entscheidend, immer wieder Überraschungseffekte zu erzielen, wobei er meist auf bekannten Mustern aufbaut und diese dann gerne auf die Spitze treibt oder verzerrt: „Humor und Ironie spielen in meiner Musik eine wichtige Rolle.“ Beim Schreiben seiner Werke versucht der Komponist, einen Mittelweg zwischen vorausschauender Planung und spontanen Entscheidungen zu finden, wobei sich die Musik freilich auch verselbständigen kann: „Ich versuche immer am Anfang des Kompositionsprozesses eine Skizze zu machen, die den Gesamtverlauf beschreibt. Natürlich gibt es da schon bestimmte Klangvorstellungen, die sich aber im Laufe des Schreibens verändern können. Für mich selbst überraschend ist es, wenn die Arbeit eine Dynamik gewinnt, von der ich vorher nichts geahnt hätte.“ So kann mitunter ein Stück während des Schreibens buchstäblich auf den Kopf gestellt werden. Mehrfach hat Deutsch mit dem Goldenen Schnitt und anderen Proportionen gearbeitet bzw. sogar mehrere Raster von Goldenen Schnitten übereinandergelegt, so in „subliminal für Orchester“ (UA 20. 1. 2012 in Tokyo, 2. Preis beim Toru Takemitsu Composition Award, europäische Erstaufführung: 15. 11. 2013, WIEN MODERN): „Das Stück funktioniert nach den Proportionen des menschlichen Körpers und sollte ursprünglich fünf Teile haben. Letztendlich sind es dann nur vier geworden: Beine, Arme, aber kein Kopf. Es ist also ein Torso. Die Energie war schon zu groß geworden, um den ersten Plan aufrecht zu erhalten. Das gibt es bei mir immer wieder, dass sich im Arbeitsprozess Konfrontationen mit Vorordnungen ergeben.“ Wo selbst der Komponist überrascht wird, hat auch das Publikum gute Chancen, unerwarteten Wendungen zu begegnen.

Text: Daniel Ender

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„Dr. Futurity“ für Ensemble (2012/13)

Kompositionspreis 2013

„Ich glaube nicht an Programmmusik“, sagt Bernd Richard Deutsch, nachdem er ausführlich und sehr plastisch von jenen außermusikalischen Ideen erzählt hat, auf die sich sein Ensemblestück „Dr. Futurity“ (2012/13) bezieht. Am gleichnamigen Science-Fiction-Roman von Philip K. Dick (1928–1982) und dessen anderen Werken fasziniert den Komponisten vor allem, „dass der Autor nur so tut, als ob er eine weit entfernte Welt beschreiben würde. In Wirklichkeit spricht er die ganze Zeit über seine eigene Welt mit ihren kapitalistischen und konsumistischen Auswüchsen.“ Dicks Romane waren für Deutsch zwar eine wichtige Inspirationsquelle. Dennoch sieht er sein Werk „nicht direkt auf diese Bücher bezogen, sondern mehr atmosphärisch mit ihnen verbunden. Das muss man aber nicht näher bestimmen oder für das Verständnis des Stücks wissen.“ Dennoch gibt der Titel der Komposition eine Richtung für das Hören vor.

Auch den drei Sätzen von „Dr. Futurity“ hat Deutsch Titel beigefügt, die nochmals Anlass zu Assoziationen geben. Der erste Satz („...trip – from Mars to here“) stellt ein flirrendes Geflecht von pulsierenden Repetitionen, Skalenausschnitten und Schlägen dar, ist polyrhythmisch durchgebildet und tiefenscharf durch dynamische Abstufungen innerhalb des Klangbildes. Wellen von auf- und abwärts gerichteten Läufen durchziehen ihn und bilden ein Element, das ihn mit den anderen Sätzen verbindet und so trotz gegensätzlicher Charaktere überraschende Verwandtschaften zu Tage fördert: mit „Chimaera“, wo durch Regenstäbe und Streicherflageoletts eine unwirkliche Stimmung beschworen wird, durch die ein langes Kontrabass-Solo ebenso geistert wie eine fremd anmutende Kantilene der Oboe d’amore; schließlich mit „Red Alert!“, wo Alarmsirenen grotesk und surreal aufheulen, wobei auch Alfred Hitchcock und dessen bevorzugter Komponist Bernard Herrmann grüßen lassen.;